Der Verkehr auf Bali oder der alltägliche Wahnsinn

Es ist an der Zeit mal ein paar Worte über den Verkehr hier zu verlieren. Es gibt ja viele Dinge in Bali die anders sind, als man es von Deutschland oder anderen westlichen Ländern kennt. Das Essen, die Sprache, die Geschäfte, das Wetter, die Märkte, die Gesundheitsversorgung oder die Wohnungen. Bei vielen dieser Dinge kann man sich entscheiden, ob man lieber die einheimische Variante oder die Westliche will. Man kann sozusagen in einer westlichen Parallelgesellschaft existieren. Man lebt in einem teuren Haus mit westlichem Standard und geht immer nur in westliche Restaurants, Supermärkte und Krankenhäuser. Das ist durchaus möglich auf Bali. Wo man aber keine Wahl hat, ist der Verkehr. Es gibt keine extra Straßen nur für Touristen und Expats mit deutschen Verkehrsregeln und Sicherheitsstandards. Wer am Straßenverkehr teilnimmt, der macht also eine ganz authentische, balinesische Erfahrung. Und der Verkehr ist anders. Ganz anders.

Der alte Weg zur Arbeit und jeden Morgen Stau an dieser Kreuzung. Als Autofahrer muss man sehr vorsichtig fahren, da sich die Motorradfahrer links und rechts vorbei schlängeln um bis nach vorne zur Kreuzung zu kommen.

Zuallererst: die Straßen sind voll. Richtig voll. Zu warten, bis alles frei ist, so dass man in Ruhe wenden, abbiegen oder ein sonstiges Manöver durchführen kann, erfordert viel Geduld. Und es ist chaotisch. Waghalsige Überholmanöver sind allgegenwärtig oder viele Einheimische fahren von einer Ausfahrt ohne anzuhalten oder vorher nach links und rechts zu schauen auf die Straße – die anderen passen schon auf. Außerdem wird jeder Platz, Seitenstreifen und Bürgersteig zum Fahren genutzt, Straßenmarkierungen und teilweise auch Ampeln haben reinen Empfehlungscharakter. Am Verkehr teilzunehmen ist wahrscheinlich eine der größten Umstellungen, die ein Ausländer zu bewältigen hat. Manche trauen sich auch nach Jahren nicht selber zu fahren und benutzen immer Taxis oder haben einen eigenen Fahrer.

Auch uns fiel die Umstellung nicht leicht. Zumal zusätzlich zu dem balinesischem Verkehrschaos noch dazu kam, dass es Linksverkehr ist und wir beide zuvor nie Motorrad oder Roller gefahren sind. Ein paar Tage nach unserer Ankunft haben wir uns einen Roller gemietet und mussten uns dann an den Verkehr und das neue Fortbewegungsmittel gleichzeitig gewöhnen.
Wie kommt es, dass die Straßen so voll sind? Einer der Hauptgründe ist sicherlich, dass es fast nur Individualverkehr gibt. Öffentlicher Nahverkehr ist quasi nicht existent, es gibt keine Bahnen, irgendwo gibt es ein oder zwei Buslinien und in manchen Gegenden fahren Sammeltaxis (nicht wo wir wohnen). Außerdem scheint mir das Straßennetz viel weniger gut ausgebaut zu sein. Es gibt ein paar wenige, wichtige Verbindungen, von denen die meisten auch nur einspurig sind. Dazu kommt, dass die Bevölkerungsdichte in Denpasar, Balis Hauptstadt, deutlich größer ist als in Berlin.

Generell gibt es wenige Autofahrer, die allermeisten bewegen sich mit Rollern oder Motorrädern fort. Das heißt aber nicht, dass man nur wenige Autos sieht. Der Anteil der Autos ist nur sehr klein. Vielleicht 10% Autos und 90% Zweiräder. Jeden Tag gibt es lange Schlangen von Autos und auch Staus. Das Gewusel auf den Straßen ist durch die vielen Motorräder enorm.

Wir machen auch manchmal bei den etwas gewagteren Überholmanövern mit.

Man kann die Straßen hier in drei Arten unterscheiden: Große, mehrspurige Straßen in der Stadt, Landstraßen und Gänge.
Am meisten verbreitet sind die Landstraßen, die einspurig sind (pro Richtung) und normalerweise keine Bürgersteige haben, d. h. die Häuser oder Grundstücke gehen bis an die Straße. So was wie einen Seitenstreifen oder eine Spur zum Parken gibt es natürlich nicht. Dadurch, dass es links und rechts von der Straße nur ein kleines bisschen Platz gibt, sind die Spuren ständig blockiert oder verengt. Es gibt Fahrräder, Fußgänger, Jogger, Hunde, Verkäufer, die ihre kleinen Essensstände irgendwo hin rollen und parkende oder rangierende Autos auf der Straße. Außerdem auch gerne Sand- und Steinhaufen, die auf der Straße liegen, weil entweder der Laster nicht bis zur Baustelle fahren konnte oder kein Platz auf der Baustelle ist (die werden dann „gesichert“ mit einem Stöckchen und einem daran festgebundenen Fetzen Plastik).

Man muss also jederzeit genau beobachten, was sich weiter vorne abspielt um rechtzeitig bremsen zu können. Leider kann man sich nicht, wie in Deutschland, auf seine Spur konzentrieren und nur auf den Vordermann achten, nein, hier muss immer auch die Gegenspur und der Straßenrand im Auge behalten werden. Ungefähr die Hälfte der Motorradfahrer, die von der Seite auf die Straße auffahren halten es für völlig unnötig zu gucken, ob jemand kommt. Das Einzige wie man sie davon abhalten kann einfach auf die Straße zu fahren, ist wenn man rechtzeitig laut hupt, sonst bleibt einem nur übrig zu bremsen oder um sie herum zu fahren. Autofahrer, die von der Seite kommen, wählen meistens die Strategie ganz langsam immer weiter auf die Straße zu fahren bis niemand mehr um sie herum fahren kann. Gerne auch rückwärts. Aufpassen muss man auch beim Überholen von vermeintlich parkenden Autos. Da „Warten, bis es frei ist“ wenig erfolgversprechend ist, da es nie frei ist, kann es passieren, dass solche „parkenden“ Autos plötzlich vorwärts oder rückwärts losfahren.

Die Gegenspur sollte man aus zwei Gründen im Auge behalten. Zum Einen, wenn dort Hindernisse auf der Spur sind, weil dann die andere Spur zum Ausweichen benutzt und in Kauf genommen wird, dass der Gegenverkehr bremsen oder anhalten muss. Zum Anderen wegen Überholmanöver, bei denen quasi die Kooperation des Gegenverkehrs erforderlich ist. Die Straßen sind meist breit genug für zwei Autos oder zwei Motorräder und ein Auto. Das heißt, ein Auto kann einen langsamen Motorradfahrer überholen, während auf der Gegenseite ein weiterer Motorradfahrer entgegen kommt. Das geht aber nur, wenn beide Motorradfahrer an der Seite fahren. Das Manöver wird aber auch angefangen, wenn der entgegenkommende Motorradfahrer im Moment noch in der Mitte fährt und es wird erwartet, dass dieser das mitbekommt und rechtzeitig Platz macht.
Das ist, nachdem wir uns daran gewöhnt haben, nicht soo schlimm und so schwer aber am Anfang, als wir das nicht erwartet haben, war es manchmal überraschend.

Die mehrspurigen Straßen in der Stadt haben meist zwei oder drei Spuren pro Fahrtrichtung und oft gibt es in der Mitte einen erhöhten Mittelstreifen. Auf diesen Straßen wird so richtig Gas gegeben. Und es fühlt sich ein bisschen wie eine Rennstrecke an, wenn Fahrzeuge an beiden Seiten vorbei sausen. Ich kann mich übrigens nicht daran erinnern, je ein Schild gesehen zu haben, das die Geschwindigkeit begrenzt. Neben den Motorrädern, die sehr schnell fahren, fliegen insbesondere die dicken Lastwagen, die lieber hupen als zu bremsen, an einem vorbei. Während in Deutschland im Allgemeinen die erste Reaktion auf ein potenzielles Hindernis Bremsen oder vom Gas gehen ist, wird in Bali instinktiv die Hupe betätigt.
Es gibt aber eine Sache, die wirklich fürchterlich ist und das ist das rechts abbiegen (beim Linksverkehr ist rechts abbiegen der Fall, bei dem man den Gegenverkehr kreuzt) auf so einer Straße. Man kann natürlich bis zur nächsten Ampel fahren, dort umdrehen und zurückfahren und dann links in die gewünschte Seitenstraße. Oft sind die Ampeln aber weit auseinander und man wartet lange. Um das einfacher zu machen, gibt es Unterbrechungen in dem Mittelstreifen, so Wendebuchten, wo man umdrehen kann. Diese Wendebuchten sind aber sehr schmal, was dazu führt, dass auf der Überholspur Fahrzeuge stehen, die darauf warten Wenden zu können. Während die Wendenden schon eine Spur blockieren, müssen sie versuchen in die Überholspur der Gegenrichtung einzubiegen. Wie bereits erwähnt ist „Warten, bis es frei wird“ quasi zwecklos und die Entgegenkommenden bremsen auch nicht, sondern fahren in einem Schlenker um das einbiegende Fahrzeug herum. Die Taktik, die die meisten anwenden ist ganz, ganz langsam immer weiter in die Spur einbiegen, bis niemand mehr darum herum fahren kann. Diese Wenderei führt dann dazu, dass viele Autos in der Mitte der zwei Spuren fahren, damit sie nicht ausweichen müssen.

An den Ampeln gibt es immer einen Countdown, der anzeigt, wann die Ampel wieder auf grün umschaltet. Wenn noch drei Sekunden angezeigt werden, fangen die ersten an zu hupen und meist fährt auch schon jemand los bevor die Ampel tatsächlich umgeschaltet hat. Da ich ja immer versuche mich den Landessitten anzupassen, nehme ich gerne mal an dem Hupkonzert teil. Es ist auch ein ganz lustiges Gefühl, wenn 40 Motorräder gleichzeitig Gas geben.

Ein Gang ist eine kleine, meist einspurige Straße, die zu den Häusern führt. In der Regel hat ein Gang keinen Straßenbelag mehr, sondern besteht aus Sand oder Schotter, voll mit Schlaglöchern und Miniatur-Flussbetten, in denen der Regen abfließt. Meistens ist ein Gang gerade noch befahrbar, wenn man langsam und vorsichtig fährt.

Die Mentalität, die man im Straßenverkehr beobachten kann, ist eine ganz andere als in Deutschland (und wahrscheinlich den meisten westlichen Ländern). In Deutschland ist die wichtigste Frage immer: halte ich mich an die Regeln vom Straßenverkehr. Und die Regeln sind dazu da, um maximale Sicherheit im Straßenverkehr herzustellen. Hier verschwendet niemand einen Gedanken an Sicherheit. Mir scheint, die einzige Frage, die hier zählt ist „Kann ich das schaffen?“ Kann ich mit dem Roller fahren, während meine Frau hinter mir rittlings mit einem Kind im Arm sitzt und zwischen meinen Beinen das zweite Kind steht? Ja? Na dann los! Kann ich mit einer Hand Roller fahren und mit der anderen mein Baby halten? Kann ich fahren, während mein Freund rückwärts sitzt und mit seinen Händen den großen Anhänger, der voll mit Surfboards beladen ist, zieht? Und wenn man sich nicht sicher ist, dann probiert man es einfach mal aus. Niemand fragt sich hier ist es sicher, was ich tue oder was passiert, wenn ich bremsen muss.

Das sollte man mal in Deutschland versuchen. Hier ist das vollkommen normal.

Sicherheitsabstand ist hier auch unbekannt. Es ist ja viel einfacher das Auto zu überholen, wenn man direkt hinter der Stoßstange fährt. Überhaupt gibt es auch ein anderes Gefühl für Raum oder Enge. Man fährt immer so weit vor, wie es geht, quetscht sich überall durch und hält möglichst nie an.
Generell herrscht im Verkehr ein grenzenloser Optimismus. Das gilt beim Beladen von Autos oder Motorrädern und bei den waghalsigen Überholmanövern. Ich habe schon Frauen gesehen, die während der Fahrt Dinge auf ihrem Kopf transportiert haben. Man sieht auch sehr viele, noch sehr junge Schulkinder, die mit dem Roller zur Schule fahren (teilweise zu dritt), was auch davon zeugt wie ländlich Canggu bzw. Bali eigentlich ist.
Es ist zwar vorgeschrieben auf einem Motorrad einen Helm zu tragen (die einzige Ausnahme sind zeremonielle Kopfbedeckungen) aber ungefähr die Hälfte oder ein Drittel der Indonesier fährt ohne Helm. Und so gut wie niemand schließt den Verschluss am Kinn.

Mittlerweile haben wir schon einige große Gegenstände mit dem Roller transportiert.

Leider geben viele Touristen oder Expats auch kein gutes Beispiel ab. Besonders Surfer sieht man immer wieder ohne Helm und nur in Badehose auf dem Roller. Es gibt sogar Mütter, die mit ihrem Kind oder Baby fahren und weder sie noch das Kind tragen einen Helm. Ein Helm ist natürlich unbequem und besonders bei den Temperaturen auch sehr warm aber die Westler sollten doch wissen, wie schnell ein Unfall passiert und wie schlimm die Folgen sind, wenn man keinen Helm trägt. In einem Artikel war mal die Rede davon, dass anscheinend die Touristen am Flughafen eine silly-pill schlucken und sich dann während ihres Aufenthalts total verantwortungslos benehmen.
Obwohl der Alkohol in Indonesien ziemlich teuer ist (für deutsche Verhältnisse), wird hier viel gefeiert und auch sonst gerne was getrunken. Aber nur wenige fahren danach mit dem Taxi nach hause oder bestimmen vorher jemand, der fährt und nichts trinkt. Zum Glück ist nachts auf den Straßen nicht mehr so viel los aber dennoch liest man immer wieder davon, dass ein Tourist tödlich im Straßenverkehr verletzt worden ist (und keinen Helm trug).

Die chaotische Fahrweise und die niedrigen Sicherheitsstandards spiegeln sich meines Erachtens auch in den Unfallstatistiken wieder. Auf Bali werden jedes Jahr 1500 Unfälle registriert, bei denen 550 Menschen ums Leben kommen. Für Indonesien sind es 109.000 Unfälle und 25.000 Tote. Um die Zahlen vergleichen zu können: in Berlin wurden im Jahre 2013 131.000 Unfälle registriert, wobei 14.000 Personen leicht verletzt und 37 ums Leben gekommen sind. Für Gesamtdeutschland sind es 2,4 Millionen Unfälle, davon 375.000 mit Personenschaden und 3657 Tote (von 2010). Diese Zahlen legen nahe, dass in Indonesien Unfälle nur gemeldet werden, wenn jemand ernsthaft verletzt oder ein Fahrzeug stark beschädigt wurde. Dagegen sind in Berlin 90% der Unfälle nur Blechschäden.

Wirklich erstaunlich an diesen Zahlen ist, wie oft Unfälle in Indonesien tödlich ausgehen. Jeder vierte, registrierte Unfall in Indonesien endet tödlich. Auf Bali sogar jeder dritte. In Deutschland dagegen enden weniger als ein Prozent der Unfälle, bei denen jemand verletzt wird, tödlich. In Berlin sind es sogar noch viel weniger (0,3%).
Manchmal bin ich überrascht, dass nicht viel mehr passiert, so verrückt, wie es hier auf den Straßen zugeht.

Aber es könnte auch viel schlimmer sein. Immerhin fährt niemand auf dem Dach von einem Minibus mit, so wie in Kambodscha :-).

Kambodscha. Im Überlandbus nach Phnom Penh

4 Gedanken zu “Der Verkehr auf Bali oder der alltägliche Wahnsinn

  1. Erinnert mich an einen Kollegen der über Indien berichtet hat und dazu folgendes Video aufgenommen hat: https://www.youtube.com/watch?v=Y9DLlMMXhKg

  2. Hi, tolles Foto von Claire, sieht schon sehr landestypisch aus :)
    Die Zustände sind wohl ähnlich wie in Indien, was mir Feli von ihrem Besuch immer berichtet hatte.
    Jeder muss sehen, dass er nicht unter die Räder kommt…
    gruss und immer genug Abstand

  3. Ganz genauso ist es! Sind seit 2 Tagen in Bali mit dem Mietauto unterwegs. Ein Abenteuerurlaub ist ein Dreck dagegen!

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